Fanprojekte in Deutschland Soziale Arbeit im Fußball gerät unter Druck
Bei der Frage nach Sicherheit im Stadion wird in der Politik meist nach Strafen gerufen, die Bedeutung von Sozialarbeit als Prävention gerät in der Diskussion oft in den Hintergrund. Die sozialpädagogischen Fanprojekte in Deutschland kämpfen schon länger mit knappen Mitteln, nun wird ihre Arbeit politisch in Frage gestellt - und es gibt rechtliche Probleme durch ein Urteil in Karlsruhe.
In Deutschland gibt es 70 sozialpädagogische Fanprojekte. Im Stadion, bei Anreisen zu Auswärtsspielen und bei Treffpunkten kommen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter mit Fans ins Gespräch. "Die Arbeit der Fanprojekte hat Phänomene wie Rechtsextremismus, Rassismus und Hooliganismus in deutschen Stadien erheblich eingedämmt", sagt Michael Gabriel, Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS), im Gespräch mit der Sportschau. Gleichzeitig weist Gabriel darauf hin, dass die Arbeit weit über die Stadien hinaus Bedeutung hat, weil es um die Sozialisierung von Jugendlichen gehe.
Doch diese Arbeit wurde zuletzt beim Spitzengespräch zwischen der deutschen Innenpolitik sowie DFB und DFL am 18. Oktober öffentlich in Frage gestellt: Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) hatte bei der anschließenden Pressekonferenz gefragt: "Sind unsere Fanprojekte und unsere Präventivarbeit eigentlich zielsicher, angesichts der gesellschaftlichen Entwicklungen, die wir haben? Da haben wir gewisse Zweifel." Er hätte gerne "eine Auswirkungsanalyse", sagte Schuster und betonte: "Es geht nicht darum, mehr Geld einzusetzen, sondern, dass die Wirkung passt." Schuster sagte außerdem, dass der DFB diese Frage aufgeworfen habe.
Empörung bei Fanprojekten
KOS-Leiter Gabriel reagiert mit Unverständnis auf Schusters Aussagen. "Ich persönlich war total überrascht und schockiert", sagt Gabriel. "Ich spüre eine große Verunsicherung und Enttäuschung bei den Kollegen, die in den Fanprojekten arbeiten." Die Frage nach einer Auswirkungsanalyse stelle sich aus seiner Sicht gar nicht. "Die Wirksamkeit der Arbeit der Fanprojekte ist seit Jahren erwiesen", sagt Gabriel. Die Arbeit werde alle drei Jahre standardmäßig extern überprüft. "Wir halten eine wie von Schuster geforderte Analyse deshalb nicht für nötig. Bei uns hat aber niemand Sorge, sich einer weiteren Überprüfung zu stellen", sagt Gabriel.
Michael Gabriel, Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS)
Auch die Bundesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte kritisiert Schusters Aussagen. "Die Forderung ignoriert vollkommen die zahlreichen Erfolge, die die sozialpädagogischen Fanprojekte in Deutschland in den letzten Jahren erzielt haben", hieß es in einer Mitteillung. "Fanprojekte leisten einen unverzichtbaren Beitrag zur Gewaltprävention, Deeskalation von Konflikten und zur Förderung eines respektvollen Miteinanders im Stadion."
Auf eine Anfrage der Sportschau, was Schuster an der Arbeit der Fanprojekte anzweifele, antwortet das sächsische Innenministerium: "Seit dem Jahr 2021 wird eine Wirkungsevaluation angestrebt. Dies ist in der Prävention und auch in anderen professionellen Kontexten normal, um den Wirkungsgrad sowie die Entwicklungspotentiale zu ermitteln." Eine solche Evaluation sei auch durch den Sächsischen Rechnungshof gefordert worden.
DFB und DFL sichern Fanprojekten weiter Unterstützung zu
Bei der Pressekonferenz nach dem Spitzengespräch in München, das ohne Fanvertreter stattfand, blieben die Worte Schusters unwidersprochen stehen, weder DFB-Präsident Bernd Neuendorf noch DFL-Aufsichtsratschef Hans-Joachim Watzke bezogen sich auf die Aussagen. "Das hat zu der Verunsicherung beigetragen", sagt Gabriel. "Aber es gab eine schnelle schriftliche Klarstellung von DFB und DFL an uns, dass die Fanprojekte für beide Verbände ein zentraler Baustein in der Prävention bleiben und weiter unterstützt werden sollen."
Der DFB teilte auf Anfrage der Sportschau mit, man sei davon überzeugt, "dass die Fanprojekte und deren Mitarbeitende positiven Einfluss auf junge Fußballfans nehmen, indem sie diese auf ihrem Weg ins Erwachsenenalter begleiten." Der DFB betonte: "Im Rahmen des Spitzengesprächs haben DFL und DFB ausdrücklich auf die Notwendigkeit der Fanprojekte und deren Unterstützung hingewiesen. DFB und DFL werden sich auch weiterhin für eine Stärkung der Fanprojektarbeit einsetzen."
DFB-Präsident Bernd Neuendorf (v.r.) mit DFL-Aufsichtsratschef Hans-Joachim Watzke sowie den Innenministern Armin Schuster (Sachsen) und Joachim Herrmann (Bayern)
Fanprojekte kritisieren schlechte finanzielle Ausstattung
DFB und DFL hätten die Bereitschaft signalisiert, die Fanprojekte besser zu finanzieren, wenn Bundesländer und Kommunen mitziehen würden, sagt Gabriel. Die finanzielle Lage der Fanprojekte sei mindestens an der Hälfte der Standorte prekär. "Einige sind sogar schon gezwungen, Angebote einzuschränken oder Personal zu reduzieren."
Die Fanprojekte werden zur Hälfte von Kommunen und Ländern finanziert, die andere Hälfte kommt von DFB und DFL. Laut DFB beläuft sich die Förderung durch die beiden Verbände derzeit auf acht Millionen Euro jährlich. Die Förderung der Fanprojekte seien für DFL und DFB "weiterhin ein zentraler Ansatzpunkt", so der DFB. Schusters Ministerium in Sachsen schreibt, dass die Finanzierung der Fanprojekte "Gegenstand der kommenden Haushaltsverhandlungen" sei.
Kölner Fanprojekt: "Unsere Arbeit ist Demokratieförderung"
Henni Hübel arbeitet mit drei weiteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im sozialpädagogischen Fanprojekt in Köln, einem von 70 in Deutschland. Er unterstreicht die Bedeutung der Fanprojekte. "Unsere Arbeit bedeutet auch eine Art Demokratieförderung", sagt Hübel im Gespräch mit der Sportschau. Das Zurückdrängen von Rechtsextremismus und Gewaltaffinität sei ein wichtiger Teil der Arbeit. Es gehe darum, belastbare Beziehungen zu Jugendlichen aufzubauen. "Es ist wichtig, für Gespräche da zu sein - auch bei Problemen in der Partnerschaft, in der Familie, in der Schule oder im Job."
Die Angestellten des Fanprojekts seien auch bei den Auswärtsfahrten von Fans des 1. FC Köln dabei. Durch die Arbeit habe das Fanprojekt die Möglichkeit, "junge Menschen zur Reflexion anzuregen", erzählt Hübel. "Manchmal bekommen wir zu hören: 'Ach, ihr seid Teil der Ultras.' Nein, wir machen professionelle soziale Arbeit. Ich würde mir allgemein für Fanprojektarbeit in Deutschland die entsprechende Anerkennung aus Politik, Polizei und Justiz wünschen."
Henni Hübel vom Kölner Fanprojekt
Urteil in Karlsruhe stellt Arbeit der Fanprojekte bundesweit vor Probleme
Vor neue Probleme wird die Arbeit durch ein Gerichtsurteil in Karlsruhe gestellt. Drei Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des dortigen Fanprojekts wurden zu Geldstrafen verurteilt. Hintergrund: Nach dem Einsatz von Pyrotechnik wurden bei einem Heimspiel des Karlsruher SC durch die Rauchentwicklung elf Menschen verletzt, eine davon schwer.
KSC-Fans zünden 2022 im Spiel gegen den FC St. Pauli Pyrotechnik.
Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe lud bei Prozessen gegen Fans die drei Mitarbeiter des Fanprojekts als Zeugen vor, die jedoch die Aussage verweigerten - um die Vertraulichkeit von Gesprächen mit Jugendlichen sicherzustellen. Doch während beispielsweise Juristen, Ärzte, Pfarrer oder Journalisten ein Zeugnisverweigerungsrecht haben, gibt es ein solches für soziale Arbeit nicht.
So kam es zum Vorwurf der Strafvereitelung und zu den Strafen. Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe begründete ihr Vorgehen damit, dass sie gesetzlich verpflichtet sei, Straftaten aufzuklären. Schon seit 2021 gibt es eine Kampagne, die für die Einführung eines Zeugnisverweigerungsrechts in der sozialen Arbeit wirbt - bislang ohne Erfolg.
"Das ist so für uns nicht zu akzeptieren. Deswegen werden wir Berufung einlegen", sagte Fanprojekt-Mitarbeiterin Sophia Gerschel im Gespräch mit 11 Freunde. Das Urteil entfalte bereits eine Wirkung. "Es besteht zwar noch eine Kommunikation, aber ursprünglich sind wir immer in den Bussen der Ultras zu Auswärtsspielen mitgefahren. Das tun wir nun aus gegenseitigem Schutz nicht mehr. Das bringt das Problem mit sich, dass ein großer Teil unserer Beziehungsarbeit wegfällt", so Gerschel.
Im SWR begründete sie vor dem Urteil die Verweigerung einer Aussage damit, "weil es für uns einfach unsere Arbeit und das Vertrauensverhältnis zu den Menschen, mit denen wir arbeiten, gefährdet".
DFB appelliert: Einbeziehung von Fanprojekt-Mitarbeitenden "immer nur als letztes Mittel"
Der Karlsruher SC sprach in einer Stellungnahme davon dass, ein Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialarbeit "unabdingbar" sei. Der DFB teilte auf Anfrage der Sportschau mit, dass "ein gutes und stabiles Vertrauensverhältnis zwischen Fans und Mitarbeitenden der Fanprojekte von elementarer Bedeutung ist". Wenn ein solches Verhältnis gestört wird nehme die Arbeit "gravierenden Schaden, der kaum zu reparieren ist", so der DFB. "Vor dem Hintergrund des aktuell nicht vorhandenen Zeugnisverweigerungsrechts halten wir es für sinnvoll, dass eine Einbeziehung in Ermittlungsverfahren von Fanprojekt-Mitarbeitenden immer nur als letztes Mittel und nach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit erfolgen darf. Karlsruhe stehe beispielhaft für alle sozialpädagogischen Fanprojekte.
Auch KOS-Leiter Gabriel warnt: "Das Vertrauensverhältnis zu den jungen Menschen wird belastet durch den Fall in Karlsruhe. Das ist eine Rechtsunsicherheit." Er sieht eine bundesweite Auswirkung. "Das Thema hat eine hohe Aufmerksamkeit bei den Fanszenen. Und natürlich stellen Fans den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Frage: 'Wie würdest Du Dich verhalten?'" Die Angestellten der Fanprojekte müssten nun abwägen, in welchen Konflikten sie noch vermitteln, weil sie nicht sicher sein könnten, was für sie daraus folgt. "So verschlechtert sich der Zugang zu den Jugendlichen."